Anfechtung Betriebsratswahl – Anfechtungsbefugnis – Betriebsbegriff – räumlich weit entfernte Betriebsteile
- Wird die Wahlanfechtung neben einem allein noch betriebszugehörigen Antragsteller von zumindest zwei weiteren, im Zeitpunkt der Wahl wahlberechtigten, antragstellenden Arbeitnehmern getragen, gerät die Anfechtungsbefugnis nicht in Wegfall.(Rn.50)
- Für die Frage, ob ein Betriebsteil iSd. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt ist, kommt es allein auf die physische Erreichbarkeit und damit auf die Qualität der Verkehrsverbindung und die konkreten Betreuungsmöglichkeiten, nicht aber auf die Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel an.(Rn.63)
- Vor dem Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 Satz 2 bis 5 BetrVG 2001 zum 28. Juli 2001 gefasste Zuordnungsbeschlüsse sind, soweit diese nicht nach dem 15. Januar 1972 gefasst und in einem wirksamen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG 1972 mit Zustimmung der obersten Arbeitsbehörde ermöglicht sind, nach § 134 BGB nichtig. Der etwaigen Bestätigung eines solch nichtigen Beschlusses kommt nach § 141 BGB keine rückwirkende Wirkung (ex tunc) zu.(Rn.72)
- Die Verkennung des Betriebsbegriffs beeinflusst das Wahlergebnis in jedem Fall und führt daher ohne weiteres zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG. Wird unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BetrVG ein einheitlicher Betriebsrat statt mehrerer Betriebsratsgremien gewählt, wird das Recht der Arbeitnehmer des als selbständig geltenden Betriebsteils auf eine eigens für sie zuständige Betriebsvertretung beschnitten.(Rn.79)
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 17. Kammer 22.10.2020 Aktenzeichen: 17 TaBV 3/19
Betriebsbedingte Kündigung – Beteiligung Gesamtbetriebsrat – Massenentlassung
- Da es sich bei der Konsultationspflicht nach § 17 Abs 2 KSchG um eine betriebsverfassungsrechtlich geprägte Regelung handelt, ist die zuständige Arbeitnehmervertretung grundsätzlich nach der Kompetenzzuweisung des Betriebsverfassungsgesetzes zu bestimmen.(Rn.77)
- § 50 Abs 1 S 1 BetrVG weist dem Gesamtbetriebsrat die Behandlung einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit dann zu, wenn diese nicht auf den einzelnen Betrieb beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der betrieblichen Ebene gewahrt werden können. Es muss ein zwingendes Erfordernis nach einer betriebsübergreifenden Regelung vorliegen; eine bloße Zweckmäßigkeit reicht dafür nicht aus. Ob ein solches zwingendes Erfordernis besteht, bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands.(Rn.79)
- Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung ist in Anwendung dieses Grundsatzes nach § 50 Abs 1 i.V.m. § 111 S 1 BetrVG mit dem Gesamtbetriebsrat zu beraten, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder doch mehrere Betriebe auswirkt und einer einheitlichen Regelung bedarf. Maßgeblich ist, ob der Maßnahme ein einheitliches unternehmerisches Gesamtkonzept zugrunde liegt, das sich über mehrere Betriebe erstreckt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf.(Rn.80)
- Geht es um einen Personalabbau, so ist der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss des Interessenausgleichs zuständig, wenn dieser auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt wird und mehrere Betriebe betroffen sind, so dass das Verteilungsproblem betriebsübergreifend gelöst werden muss.(Rn.81)
- Gegen eine Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses sprechende Umstände können sich auch aus wirtschaftlichen Gründen oder der tatsächlich fehlenden Möglichkeit zur Beschäftigung ergeben. Allerdings führt die Tatsache, dass es für den Arbeitgeber unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos ist, den betreffenden Arbeitnehmer zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen, für sich genommen noch nicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers.(Rn.124)
Landesarbeitsgericht Düsseldorf 11. Kammer 15.10.2020 Aktenzeichen: 11 Sa 799/19
Betriebsrat – Einblick in Bruttoentgeltlisten – monatliche Einsicht
- Für die Prüfung, ob der Verfahrenseinleitung ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats zugrunde liegt, besteht kein Anlass, wenn der Betriebsrat eine Beschlussfassung behauptet und der Arbeitgeber dies nicht in Abrede stellt.(Rn.13)
- Der Beschluss über ein bei Gericht anzustrengendes Beschlussverfahren muss dem dort zur Entscheidung gestellten Verfahrensgegenstand inhaltlich entsprechen. Er muss jedoch mit einer (beabsichtigten) Antragstellung nicht völlig übereinstimmen oder gar mit dieser wortlautidentisch sein. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren eine Klärung herbeigeführt werden soll, und das angestrebte Ergebnis erkennbar sind.(Rn.15)
- Geht es einem örtlichen Betriebsrat um den betriebsübergreifenden Einblick in unternehmensweite Bruttoentgeltlisten, begründet dies allein keinen Anspruch aus der Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs 1 Nr 1 BetrVG und einem möglichen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG. § 80 Abs 2 S 2 Halbs 2 BetrVG verlangt vielmehr eine auf das konkrete Einsichtsverlangen bezogene, spezifische Prüfung der Erforderlichkeit für die vom Betriebsrat geltend gemachten Aufgaben.(Rn.19)
BAG 1. Senat 29.09.2020 Aktenzeichen: 1 ABR 23/19